Eine bestimmte Art von Hirntumoren, diffuse Mittellinien-Gliome (DMG), tritt vor allem bei Kindern um das Volksschulalter auf und ist schwer zu behandeln. In einer internationalen Studie, an der ForscherInnen an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde, der Universitätsklinik für Neurochirurgie und dem Institut für Neurologie, allesamt Teil des Comprehensive Cancer Center (CCC) der MedUni Wien und des AKH Wien, maßgeblich beteiligt waren, wurde nun die Zell-Architektur dieser Tumorart so genau wie noch nie zuvor analysiert. Ergebnis: eine Vielzahl der Zellen wies Merkmale von Stammzellen auf. Stammzellen sind unreife Zellen, die im Gegensatz zu normalen, reifen Zellen besonders teilungsfreudig sind. Ein neuer Behandlungsansatz könnte daher sein, diese Tumorzellen künstlich reifen zu lassen und so den unkontrollierten Vermehrungsprozess zu stoppen. Die Studie wurde nun im Top-Journal Science veröffentlicht.
Tumoren des Gehirns und Rückenmarks stellen ein Viertel aller Tumorerkrankungen im Kindes- und Jugendalter dar. Obwohl Fortschritte in Diagnostik und Therapie die Prognose vieler dieser Tumore verbessert haben, ist bei den diffusen Mittellinien-Gliomen (DMG) weiterhin keine Heilung möglich.
Tumorarchitektur
Die ForscherInnen analysierten in der aktuellen Arbeit über 3.300 einzelne Tumor-Zellen von sechs PatientInnen, die an einem DMG litten, indem sie die Zellen sortierten und danach von jeder einzelnen ein genetisches Profil erstellten. Die WissenschafterInnen fanden heraus, dass DMG von Zellen stammen, die in einem unreifen, Stammzellen-ähnlichen Zustand verharren und sich dadurch rapide teilen und vermehren.
Irene Slavc, Leiterin der Neuroonkologie an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde der MedUni Wien und des AKH Wien: „Unsere Ergebnisse legen nahe, dass das Zusammenspiel dreier Faktoren die Entstehung von DMG begünstigt: die charakteristische Mutation (H3K27M) muss in einem bestimmten Zelltyp und in einem bestimmten und zeitlich begrenztem Entwicklungsstadium passieren. Ein Ansatz, einzugreifen wäre, die Reifung der Tumorzellen zu beschleunigen in dem man die Gene abschaltet, die die Eigenschaften der Stammzellen kodieren.“ Dies könnte man durch einen Eingriff in die aktivierten Signalwege der Tumorzellen bewerkstelligen.
Internationale und interdisziplinäre Zusammenarbeit
Die Arbeit wurde von einem internationalen Team durchgeführt, das von ForscherInnen des Broad Institute des MIT und Harvard Massachusetts General Hospital (MGH) und Dana-Farber/Boston Children’s Cancer and Blood Disorder Center (DF/BC) geleitet wurde. Nur durch den wesentlichen Beitrag der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde, der Universitätsklinik für Neurochirurgie und des Instituts für Neurologie der MedUni Wien und des AKH Wien konnte die Studie durchgeführt werden: Die Hälfte der Tumorproben stammt von PatientInnen welche an der MedUni Wien und dem AKH Wien operiert und behandelt wurden. Die Sequenzierung und Analysen wurden am DF/BC in Boston von Mariella Filbin und Mario Suva durchgeführt nachdem in Wien das Tumorgewebe in Kooperation mit der St. Anna Kinderkrebsforschung (CCRI) aufbereitet wurde. Mariella Filbin startete ihre Karriere an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde der MedUni Wien und des AKH Wien. Nun leitet sie eine eigene Forschungsgruppe am DF/BC.
Größtes interdisziplinäres Spezialzentrum Österreichs an der MedUni Wien
So wurde eine enge Kooperation der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde mit DF/BC aufgebaut, die zum Ziel hat, die Molekularbiologie von pädiatrischen Hirntumoren zu entschlüsseln. Grundlage für den Aufbau dieser Zusammenarbeit stellt die seit langem erfolgreich etablierte Kooperation der Universitätskliniken für Kinder- und Jugendheilkunde und für Neurochirurgie in der Behandlung und Erforschung von Hirntumoren des Kindesalters dar. In Zusammenarbeit mit dem Institut für Neurologie und anderen Einheiten des CCC an der MedUni Wien und des AKH Wien ist die Neuroonkologie der Universitätsklinik für Kinder -und Jugendheilkunde der MedUni Wien das größte Zentrum zur Behandlung von Hirntumoren von Kindern in Österreich.
Service: “Developmental and oncogenic programs in H3K27M gliomas dissected by single-cell RNA-seq” Filbin MG, Tirosh I, Hovestadt V, et al.
Science. Published online April 19, 2018. DOI: 10.1126/science.aao4750]
http://science.sciencemag.org/content/360/6386/331.full